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07.07.2023

Verfassungsschutzbericht schätzt Zahl möglicher Extremisten

Am 20. Juni 2023 stellten Bundesinnenministerin Nancy Faeser den „Verfassungsschutzbericht 2022“ vor

Entwaffnung funktioniert

Am 20. Juni 2023 stellten Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang den „Verfassungsschutzbericht 2022“ vor.

Darin heißt es unter anderem auf Seite 113:

"Bis Ende 2022 kam es zu Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse bei mindestens 1.100 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“. Ende 2022 verfügten noch etwa 400 „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis. Die Verfassungsschutzbehörden stellen den zuständigen Waffenbehörden alle erforderlichen Informationen zur Verfügung, um den Entzug vorhandener waffenrechtlicher Erlaubnisse bei Szeneangehörigen zu ermöglichen.“ 

Wir sehen dies als eindeutiges Indiz dafür, dass die Entwaffnung von Extremisten und Verfassungsfeinden funktioniert und damit die bestehenden waffenrechtlichen Regeln hier ausreichen, um Extremisten erfolgreich zu entwaffnen. Unverständlich ist dagegen, wieso Ende 2022 bei etwa 400 bekannt rechtsextremistischen Personen noch kein Entzug stattgefunden hatte. 
 

Lediglich geschätzte Personenzahlen?!

Zudem zeigt sich bereits an dieser Stelle eine wesentliche Schwachstelle des vorgestellten Verfassungsschutzberichtes. Denn es ist die Rede von „mindestens 1100“ und „noch etwa 400“ – genaue Zahlen zu Personen fehlen! Und das im gesamten Bericht! So heißt es auf Seite 25:

"Das BKA registrierte für das Jahr 2022 insgesamt 58.916 (2021: 55.048) politisch motivierte Straftaten. Davon sind 16.340 (27,7 %) Propagandadelikte (2021: 13.832, 25,1  %). 4.043 Straftaten (6,9  %) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2021: 3.889, 7,1 %). Nach Phänomenbereichen unterschieden wurden 23.493 (2021: 21.964) Straftaten dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“, 6.976 (2021: 10.113) dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – links. [...] erfasst. […]"

Zum Personenpotential finden sich ausführliche Tabellen auf den Seiten 51 und 128. Danach umfasst das rechtsextremistische Personenpotenzial umfasste Ende 2022 nach Abzug von Mehrfachzuordnungen 38.800 Personen (2021: 33.900). Die Zahl der Rechtsextremisten, die als gewaltorientiert eingestuft werden, ist auf 14.000 Personen (2021: 13.500) angestiegen. Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2022 um 1.800 auf nunmehr 36.500 Personen angewachsen, darunter befinden sich 10.800 gewaltorientierte Linksextremisten.
Straftaten lassen sich demnach stellengenau fassen, die Zahl der Personen ist dagegen reine Vermutungssache, denn in der Fußnote dazu heißt es:

„Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet.“ 

Warum hier allein mit gerundeten Zahlen gearbeitet wird, wird nicht eindeutig erklärt. Es heißt nur:

„Es ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern/Anhängern dieser Personenzusammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen und dass für Zuordnungen zu diesen Personenzusammenschlüssen, die teils auch weniger strukturiert sind, nicht ausschließlich formelle Mitgliedschaften maßgeblich sind. Im Rahmen dieser Zahlenangaben wird ebenfalls ausgewiesen, bei wie vielen dieser Personen von einer Gewaltorientierung auszugehen ist.“

Doch einen Verfassungsschutzbericht auf geschätzten Zahlen aufzubauen, führt in unseren Augen den gesamten Sinn eines solchen Berichtes ad absurdum. Noch dazu, wenn ein solcher Bericht ggf. auch als Grundlage für eine mögliche Verschärfung des Waffengesetzes herangezogen wird. Eine korrekte Datengrundlage fehlt also auch hier – genau wie in der Polizeilichen Kriminalstatistik.
 

32.190 Waffenbesitzverbote

32.190 Waffenbesitzverbote waren zum 31.12.2022 laut Nationalem Waffenregister erteilt worden. Zum 30.06.2023 sind es bereits 33.542. Darin enthalten sind – neben Verboten aufgrund von Verfassungsfeindlichkeit – natürlich auch solche wegen Verurteilungen zu einer Straftat oder aufgrund von nicht vorhandener persönlicher Eignung. Dennoch wird klar, dass bei geschätzt 38.800 als rechtsextremistisch und 36.500 linksextremistisch eingestuften Personen das Potential der Waffenbesitzverbote nicht vollständig ausgeschöpft wird.

Was aber im Endeffekt keine weiteren Auswirkungen hat, denn Waffenbesitzverbote sind zahnlose Tiger.  Egal ob verhängt oder nicht: Küchenmesser, Äxte, freie Waffen etc. können auch problemlos von jemandem erworben werden, dem ein Waffenbesitzverbot erteilt wurde, weil niemand im Handel sie direkt überprüfen kann. Denn der Handel kann Waffenbesitzverbote nicht direkt über das Nationale Waffenregister abfragen. Hier kann dann wieder nur die Kontrolle helfen, um diese „Waffen“ zu entziehen: Und wir wissen alle, wie häufig solche Kontrollen bei der personellen Ausstattung der Vollzugsbehörden stattfinden können. An dieser Stelle die Dialogfähigkeit des Nationalen Waffenregisters zu verbessern, wäre ein erster wichtiger Schritt zu mehr Sicherheit – ganz ohne sachliche Verbote!

Waffenaffinität und illegale Waffen?

Ebenso vage ist der Bericht in Sachen Waffen. So steht auch die im Verfassungsschutzbericht erneut an mehreren Stellen genannte "Waffenaffinität der Szene", die "seit Langem bekannt" ist, rein ohne Zahlenbasis. An keiner Stelle werden genaue Angaben zu sichergestellten Waffen gemacht. Beispielsweise wird im Absatz zur Razzia im Dezember 2022 nur die Sicherstellung von Schusswaffen, Munition und sonstigen gefährlichen Gegenständen genannt, nicht aber auf deren Art und Zahl eingegangen. Genannt werden auch „diverse Schusswaffen“, an andere Stelle „Hieb-, Stich- und Schreckschusswaffen sowie Armbrüste“. Ein Beleg, aus dem die wirkliche Waffenaffinität klar hervorgeht, fehlt und auch der – geschätzte – Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse, der bei maximal 2,84 % der bekannten rechtsextremistischen Personen, erfolgt sein kann, sehen nicht wie ein eindeutiges Indiz aus.

Zumal es auf Seite 111 des Berichtes bzgl. des „hohe[n] Gewaltpotenzial[s]“, das sich „auch häufig durch massive Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen, auch unter Einsatz von Waffen“ zeige, direkt im Anschluss heißt: dass „ein Polizist […] mit dem Auto überfahren und schwer verletzt“ wurde. Waffe muss hier demnach nicht gleich Schusswaffe sein!  

Daher erscheint es besonders relevant, dass nicht nur legale erlaubnisfreie und erlaubnispflichtige Waffen – und damit ggf. waffenrechtliche Erlaubnisse – von Bedeutung sind, sondern auch der Beitz illegaler Waffen. Dieser kann jedoch über das Waffengesetz oder gar eine gesetzliche Verschärfung nicht kontrolliert werden. So heißt es auf S. 58:

"Auch illegaler Waffenbesitz ist in der Szene verbreitet. [...] Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technik, insbesondere von modernen 3D-Druckverfahren, entstehen für Extremisten neue Möglichkeiten, sich zu bewaffnen beziehungsweise selbst hergestellte und improvisierte Waffen(-teile) zu nutzen. […] . Zwar ist die Zahl der bekanntgewordenen Fälle, in denen tatsächlich Waffen mit einem solchen Verfahren hergestellt wurden, noch gering, jedoch zeigen im Internet abrufbare Videos über deren Handhabung, Zuverlässigkeit und Schussrate deutlich das zerstörerische Potenzial solcher improvisierter Schusswaffen." 

Weiter führt der Flyer „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ dazu aus:

"Zugleich ist weiterhin von erheblichem illegalen Waffenbesitz innerhalb der Szene auszugehen, da bei Durchsuchungsmaßnahmen immer wieder illegale Waffen gefunden werden. Aus Behördensicht besteht die Möglichkeit, dass Szeneangehörige aufgrund ihrer Waffenaffinität in Zukunft vermehrt versuchen werden, sich verbotenerweise Waffen zu beschaffen."

Dieser Gefahr muss konsequent nachgegangen werden. Denn wer sich gegen den Staat und seine Gesetze stellt, der wird sich auch nicht ans Waffengesetz halten. Daher wäre es für Nancy Faesers erklärtes Ziel „Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen“ an dieser Stelle von außerordentlicher Relevanz, die Extremisten überhaupt zu kennen und deren Zahl nicht nur zu schätzen!

Eintragungen im Informationssystem (NADIS)

Noch eine kleine Anekdote aus dem Bericht: Sicherheitsüberprüfungen bzw. Abfragen in Sachen Zuverlässigkeit und Persönliche Eignung sind beim Verfassungsschutz von hoher Relevanz. Da heißt es: 

Anfang 2023 waren von Bund und Ländern im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 3.921.887 (Anfang 2022: 3.635.825) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 3.446.076 Eintragungen (87,9 %, Anfang 2022: 87,2 %) aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheits-, Atom-, Waffen-, Jagd- bzw. Sprengstoffgesetzes, der Hafensicherheitsgesetze der Länder sowie der Gewerbeordnung.

Mit Ende 2022 waren 946.495 Waffen- oder Waffenteilebesitzer im Nationalen Waffenregister gespeichert. Damit machen Waffenbesitzer 24,13 % der im Informationssystem (NADIS) gespeicherten personenbezogene Eintragungen aus.
 

Verfassungsschutzbericht 2022 und weitere Dokumente hier einsehen