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02.11.2023

Kleine Waffenscheine sind wie Windräder und E-Autos

Zur Logik des Arguments - Essay

„Immer mehr Bundesbürger melden eigene Gas- und Schreckschusswaffen an“, „Wie Deutschland sich bewaffnet“ oder „Immer mehr Deutsche tragen einen Kleinen Waffenschein“. Das sind Schlagzeilen, die uns regelmäßig aus größeren und kleineren Publikationen zum Thema Schreckschusswaffen und Kleiner Waffenschein entgegenprangen. Im Endeffekt sind sie – unbeachtet etwaiger rechtlicher Fehlinterpretationen – nicht falsch.

Doch sie verkennen die Situation und beleuchten sie von einer Seite, die sie in ein schlechteres Licht rückt, als sie verdient hat. Denn letztendlich lässt sich das Thema Schreckschusswaffen und Kleiner Waffenschein mit Windrädern oder Elektroautos vergleichen.
 
Wie klingen die obigen Schlagzeilen in Ihren Ohren, wenn wir die Begriffe einfach austauschen?  „Immer mehr Bundesbürger melden eigene Elektroauto an“, „Wie Deutschland umrüstet - immer mehr Windräder gebaut“ oder „Immer mehr Deutsche fahren ein Elektroauto“. Unabhängig davon, wie Sie zu erneuerbaren Energien oder Elektromobilität stehen: Sind das Schlagzeilen, die Ihnen irgendwie Angst machen? Eher nein. Vielleicht klingen sie sogar eher langweilig und Sie würden den Text nur lesen, wenn Sie ein spezielles Interesse am Thema haben. 

Sie mögen jetzt sagen, dass die Vergleiche hinken, da wir in einem Fall von Schusswaffen, im anderen von E-Autos oder eben Windrädern und damit „harmlosen“ Dingen sprechen. Das mag sein, doch die Beispiele eignen sich eben, um das Paradoxon der Zahlen beim Kleinen Waffenscheine einmal zu verdeutlichen. Denn die Bereiche unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der emotionalen Aufladung, während die Zahlen eindeutig eins gemeinsam haben: Sie werden so lange ansteigen, bis ein demografischer Wandel einsetzt. Bei Windrädern wird dieser nach ca. 20 Jahren – die wir übrigens langsam erreicht haben – bei E-Autos ebenfalls, bei Kleinen Waffenscheinen aber erst nach einem Erwachsenenleben einsetzen – da fehlen uns noch ca. 40 Jahre!

Wieso ist das so? Kleine Waffenscheine gibt es erst seit dem 01.04.2003. Ab diesem Stichtag war es überhaupt erst möglich, dass eine Person über 18 Jahren einen Kleinen Waffenschein beantragt. Nun ist es jedoch so, dass zwar alle drei Jahre eine erneute Prüfung auf persönliche Eignung und Zuverlässigkeit bei allen Inhabern eines Kleinen Waffenscheins stattfindet, diese jedoch nur dann entzogen werden, wenn eine solche Eignung nicht mehr vorliegt. Insofern wird eine Person, die mit 18 Jahren einen kleinen Waffenschein beantragt, diesen aller Voraussicht nach bis zum Lebensende besitzen – bei einem heute 38-jährigen sind das noch ein paar Jahre. 

Jetzt zum scheinbar hinkenden Vergleich: Auch Tesla wurde im Jahr 2003 gegründet und wahrscheinlich stimmen Sie uns zu, dass das Unternehmen heute als Begründer der modernen Elektroautos in Serienproduktion bezeichnet werden kann. Wir können also annehmen, dass 2003 sowohl der Start des Kleinen Waffenscheins als auch der E-Autos war. Und Windräder: Nun, nehmen wir hier das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000, so sind wir in einem ähnlichen Zeitrahmen. 

Zurück zu Schlagzeilen: „In der Bundesrepublik sind aktuell mehr als 587.000 Kleine Waffenscheine registriert – mehr als doppelt so viele wie noch Ende 2015.“ Das ist so erst einmal korrekt. Am 31.12.2015 waren 285.911 Kleine Waffenscheine registriert. Ende 2017 – also vor dem Erscheinen besagten Artikels im Münchner Merkur – waren es 557.560. Was die Münchner Redaktion jedoch unerwähnt lässt, sind die massiven Flüchtlingsströme in diesem Zeitraum sowie die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Großstädten sowie auch die Anschläge in Paris, was zu einer enormen Verunsicherung der Bevölkerung und dem Wunsch nach Selbstschutz geführt hatte. Die Zahl der E-Autos stieg im gleichen Zeitraum übrigens von 18.958 auf 34.022 an und verdoppelte sich damit auch fast. Bei den Windrädern stieg die Zahl nur um 2.695 Stück, hier verläuft der Anstieg insgesamt langsamer. 
Werden es aber nun wirklich „immer mehr“ Bürger, die Schreckschusswaffen anmelden? Ja und nein. Vor dem Hintergrund, dass diese eben nicht zurückgegeben werden, werden es naturgemäß immer mehr Bürger, die über einen Kleinen Waffenschein verfügen. 

Der Neuzuwachs, also die Zahl der Menschen, die jährlich erstmals einen Kleinen Waffenschein beantragen, ist jedoch seit dem drastischen Anstieg im Jahr 2016 fast durchgehend rückläufig. Waren es 2016 183.830 neue Kleine Waffenscheine, waren es 2018 nur 53.377, 2020 nur noch 40.800 und 2021 nur 34.532. Erst im Jahr 2022 stieg die Zahl mit 41.148 Neuanträgen bei – wir erinnern uns – Pandemie und Krieg in Europa wieder an.
Auch für 2023 wird ein weiterer Anstieg der Neuanträge zu erwarten sein, der jedoch ebenfalls auf den Krieg, erneute Flüchtlingsströme, aber auch auf die geplanten Verschärfungen der Bundesregierung des Waffengesetzes, die im Januar 2023 bekanntgeworden sind, zurückzuführen ist. Ende September 2023 verfügten 824.188 Personen über einen Kleinen Waffenschein – das macht bei 71.942.394 deutschen Staatsangehörigen (Stand 31.03.2023) 1,15 % der Bevölkerung, die regelmäßig auf persönliche Eignung und Zuverlässigkeit überprüft werden und damit eine weiße Weste haben.

Folglich beantragen eigentlich immer weniger Bürger einen Kleinen Waffenschein, wobei die Zahl der Waffenschein-Inhaber aus den genannten Gründen ansteigt.

Was jedoch zutrifft ist, dass ein starker Anstieg an Kleinen Waffenscheinen ein Indikator für das aktuelle Sicherheitsgefühl der Bürger ist. Krisen und Gefährdungslagen lassen die Zahl in die Höhe schnellen, die Menschen möchten sich mit dem schützen, was sie legal erwerben können. Dies war der Fall in 2016 nach den massenhaften sexuellen Übergriffen zu Silvester in Köln, dann 2022 nach Kriegsausbruch in der Ukraine und ist es auch jetzt, durch den andauernden Krieg in der Ukraine und den andauernden Flüchtlingsstrom erneut zu beobachten.
Dennoch werden Sie uns sicher zustimmen, dass die Zahl von überprüften Bürgern eigentlich nicht hoch genug sein kann. Könnte daher die Schlagzeile nicht auch lauten „Immer weniger Bundesbürger melden eigene Gas- und Schreckschusswaffen an!“? Zumal überhaupt nicht davon auszugehen ist, dass 1,15 % der Bevölkerung mit einer Schreckschusswaffe auch wirklich herumlaufen. In der Regel liegen diese zu Hause herum – verwahrt in einem verschlossenen Behältnis.

Jetzt müssen wir aber doch zugeben, dass das Argument mit den E-Autos und den Windrädern bzgl. des jährlichen Zuwachses wirklich hinkt. Denn im ersten Fall ist die Zahl in den letzten Jahren nicht, wie beim Kleinen Waffenschein, rückläufig gewesen, sondern beständig gestiegen. Waren es Ende 2017 noch 34.022 zugelassene Fahrzeuge, waren es Ende 2022 bereits 618.460. In diesem Jahr wurde die Millionenmarke geknackt – das werden wir beim Kleinen Waffenschein wohl noch nicht erleben. Die Zahl der Windräder dagegen sank im Jahr 2021 sogar. Die angenommene Lebensdauer beträgt hier jedoch 20 Jahre, die nach dem genannten Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 nun erreicht sein könnte.